„Alice – Spiel um dein Leben“: Premiere und laufende Vorstellungen

Natalie, Du hast Dein Herzensprojekt in 4-jähriger Vorbereitungszeit umgesetzt und stehst jetzt mit dem Solostück „Alice – Spiel um dein Leben“ auf der Bühne der Hamburger Kammerspiele. Was sagst Du nach 7 Vorstellungen? 

Es ist ein unglaublicher Rausch! Die Resonanz des Publikums ist so überwältigend, dass es alle kühnsten Hoffnungen und Träume übertrifft!
Vor allem bin ich glücklich, dass es ein gutes Theaterstück geworden ist, das die Leute berührt, und ich bin so stolz auf mein Team. Ich sehe es als absolute Teamleistung, dass wir es geschafft haben, einen Abend zu kreieren, der offenbar sehr besonders ist, und das Publikum zum Lachen und zum Weinen bringt und beim Schlussapplaus zum Aufstehen bewegt.
Jetzt ist es eine ganz interessante Erfahrung, wie es sozusagen zu einem „normalen Job“ wird. Diese superintensive Arbeit, die ich mit meinem Team sehr eng hatte bis zum Tag der Premiere, die hat mich sehr getragen und mir Kraft gegeben, vor allem die letzten Tage und Wochen. Nun bin ich alleine, habe stattdessen die Haustechniker als meine Kollegen und den Flügel, um mir Gesellschaft zu leisten. Meine vielen Rollen, die ich spiele, lassen mich interessanterweise tatsächlich ein bisschen weniger alleine fühlen nach dem Motto „Ich bin viele“. Das ist schon sehr lustig.

Was haben Deine Familie, Freunde und Kollegen während der Umsetzungsphase gesagt und jetzt, nachdem sie das Stück gesehen haben?

Wenn ich von meinen Plänen erzählt habe, war zu 99% das Feedback, dass sie es eine tolle Idee fanden, dass ich so mein Klavierspiel mit dem Schauspiel gemeinsam auf die Bühne bringen wollte. Diese positive Unterstützung war auch ein Aspekt, weshalb ich trotz aller Hemmungen und Ängste daran immer weitergearbeitet habe. Vereinzelt gab es von meinen engsten Bezugspersonen auch besorgte Stimmen, ob es nicht zu anstrengend werden würde. Jetzt kann ich sagen, dass es nicht so anstrengend ist wie vermutet, weder körperlich noch emotional. Und alle Freunde, die es schon gesehen haben, sind total begeistert!

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© Bo Lahola

Wir Fans bekamen ja schon einen kleinen Vorgeschmack bei der Bergdoktor-Show im Juni 2022, als Du am Flügel Debussy gespielt hast, während draußen die Welt unterging. Wie hast Du diesen außergewöhnlichen Auftritt empfunden?

Ich hatte diesen Abend für mich ein bisschen als Generalprobe gesehen für die Premiere. Ich wollte es erleben, dass es mir da gelingt, ein Stück trotz Lampenfieber so zu liefern, dass ich zufrieden bin, eine Mutmacherfahrung sozusagen. Deswegen war dieser Abend für mich persönlich tatsächlich sehr, sehr wichtig. Zum Glück hatte ich mich gut vorbereitet, auch ein Testkonzert vor Freunden gespielt, und kurz vor meinem Auftritt bei der Bergdoktor Show noch einmal tonlos am Digital-Flügel. Als schließlich mein Auftritt anstand, war gerade ein starkes Gewitter aufgezogen, der Regen prasselte aufs Zeltdach, der Donner hallte und ich konnte tatsächlich kaum einen Ton hören, den ich spielte. Aber da ich das Stück eben hinter der Bühne schon erfolgreich tonlos gespielt hatte, sagte ich mir: „Du schaffst das!“ Und es hat funktioniert, ich hatte meine persönliche Generalprobe an diesem aufregenden und speziellen Abend bestanden! Ja, und an sich fand ich es sehr stimmungsvoll, das Donnern über der Musik war total schön.

Von der Generalprobe am Wilden Kaiser zur Premiere in den Hamburger Kammerspielen: Wie aufgeregt warst Du vor der Premiere? Hattest Du Angst, die Noten oder den Text zu vergessen? 

Ich habe so viele Monate auf diesen Punkt hingefiebert, im Grunde hatte ich schon ein Jahr vorher echtes Lampenfieber. Je näher der große Tag dann kam, desto fokussierter und auch ruhiger wurde ich. Ich wusste, ich habe mich so gut ich konnte vorbereitet und über Jahre mit einem erstklassigen Team daran gefeilt. Am Ende konnte ich es kaum noch abwarten und habe mich so sehr darauf gefreut, dass es die unangenehmen Seiten der Aufregung in Massen hielt.
Erst am nächsten Tag spürte ich, wie groß der Druck doch eigentlich gewesen war, als er langsam von mir abfiel. Denn es war schon ein ziemliches Risiko, das wir eingegangen sind: Das Thema, die Spielweise, auswendig schwere Klavierstücke spielen…

Merkst Du Unterschiede bei den einzelnen Aufführungen, von Dir und Deiner Umsetzung bzw. vom Publikum aus und könnten so vielleicht noch weitere Anpassungen im Laufe der Zeit entstehen?

Es wird sich ganz bestimmt entwickeln, wie jedes Theaterstück, das liegt in der Natur der Sache. Allerdings kann ich es noch nicht ganz absehen, wie viel und in welchem Ausmaß Änderungen erfolgen können, weil es so extrem detailliert inszeniert und durchchoreographiert ist.
Und natürlich ist jeder Abend anders von den Publikumsreaktionen, da musste ich mich auch erstmal dran gewöhnen. Es gibt Abende, da wird noch relativ lange recht viel reagiert, viel gelacht oder auch mal zwischenapplaudiert und dann gibt es Abende, da ist von Anfang an Totenstille. Manches Publikum scheint durch das ernste Thema gehemmt zu sein, das hat mich beim ersten Mal verunsichert. Nun mache ich mir keine Gedanken mehr, wenn die Zuschauer ruhig sind, die sich zudem ja auch in die Spielweise reinfinden und konzentrieren müssen. Am Ende explodiert der Applaus jedes Mal!

Du spielst ja über 20 Personen alleine, wechselst ständig zwischen den Charakteren, Stimmfärbungen und Körperlichkeiten. Hast Du das mittlerweile verinnerlicht oder kann es passieren, dass Du den Anschluss nicht findest?

Das Stück ist eine ziemliche Konzentrationsleistung, ich muss sehr viele Details im Kopf haben, die ich abzuarbeiten habe und spiele am Klavier auswendig. Aber jetzt ist es eigentlich wie eine große Choreographie für mich, schauspielerisch wie pianistisch. „Ich tanze Euch eine Geschichte,“ so ungefähr könnte ich das beschreiben. (lacht) Ja, und das habe ich tatsächlich tief im System gespeichert. Bisher hatte ich da Gottseidank - toi toi toi - keine Aussetzer.

Die einzelnen Begebenheiten, die Alice Herz-Sommer erlebt und die Figuren, die dargestellt werden, sind die ihrer Biografie entnommen oder hast Du als künstlerische Freiheit Dir auch teilweise überlegt, wie es gewesen sein könnte? 

Tatsächlich ist quasi alles biografisch. Die Entscheidung, welche Situationen erzählt werden sollen, hat die Autorin Kim Langner getroffen. Das einzige, wo wir uns ein bisschen künstlerische Freiheit genommen haben, ist die Rolle der Lore, die die Mitgefangen im Ghetto symbolisiert, diese ist erfunden und soll als komische Figur Humor in den Abend bringen. So gut wie alle anderen sind historische Figuren. Auch in der Ausführung der Rollen habe ich versucht, mich an den Vorbildern zu orientieren.

Neben Deiner Darstellung auf der Bühne agierst Du auch als Produzentin für dieses musikalische Theaterstück. Kannst Du uns etwas über diese Tätigkeiten erzählen, z.B. welche Aufgaben mit dieser Rolle verbunden sind.

In erster Linie das Kreativteam zusammenstellen: Der Regisseur François Camus stand sofort fest. Dann den musikalischen Leiter, Lichtdesigner, Sounddesigner und Videodesigner engagieren. Einen Co-Produzenten habe ich noch begeistern können, der mir zum Schluss den Business-Teil abgenommen hat, damit ich mich auf die künstlerische Herausforderung konzentrieren konnte. Er wird das Stück jetzt auch weitervermarkten.
Weitere Produzententätigkeiten waren zum Beispiel, dass ich mit den Rechteinhabern des Interview-Videos von Alice Herz-Sommer in intensivem Austausch war, außerdem Pressetexte schreiben, einen Business-Plan erstellen, bei der Graphik des Plakates und beim Titel des Stückes mitentscheiden, Rahmenbedingungen für das Theater aufstellen, den Deal mit Bechstein, einem renommierten Klavierfabrikanten, arrangieren und vieles mehr.
Natürlich ist es auch mein Job, als Produzentin und Hauptdarstellerin, beim Team für gute Laune zu sorgen, von der Inspiration über den ganzen Prozess der Umsetzung hinweg, damit alle mit viel Herzblut und Liebe bei der Sache sind.

Das ist wirklich toll, dass es vom Publikum so angenommen wird. Welche Gedanken und Gefühle hast Du jetzt, wenn Du den Titel außen an den Hamburger Kammerspielen liest, Du die Leute siehst, die alle wegen Dir bzw. Deines eigenen Stückes kommen, und die nach der Aufführung Standing Ovations geben? 

Ich fühle mich sehr, sehr, sehr beschenkt davon, dass es so aufgegangen ist und auch dass der ganze Prozess bis dahin wirklich wie gesegnet schien. Es wurde tatsächlich nicht nur ein Herzensprojekt, sondern schon fast Lebensprojekt, das jetzt erst richtig losgeht. Es ist ein schönes Gefühl, dass wir wirklich ein kleines Theaterkleinod kreiert haben, das hoffentlich viele Jahre Leute erfreuen wird, und auch, dass ich es geschafft habe, Alice Herz-Sommer ein Denkmal zu setzen, von dem ich denke, dass sie es mögen würde und das ihr würdig ist. Das alles beglückt mich auf eine ganz tiefe Art. 

Wir können uns vorstellen, dass von daher jede Vorstellung zu etwas ganz besonderem wird, so dass Du nicht einfach das Theater verlassen kannst wie bei den vorigen Stücken, sondern immer einige Weggefährten, Freunde oder Familie vor Ort sind, mit denen Du danach noch in Austausch gehst. Erlebst Du das so? 

Tatsächlich war es bisher bei den sieben Vorstellungen so, dass ich immer Gäste da hatte: Kollegen, Freunde, Familie…Ich war besonders gerührt, dass meine Bergdoktor-Kollegen Ronja, Andrea, Heiko und Dominic meine Premiere besucht haben. Und natürlich freue ich mich immer, wenn noch Leute im Foyer sind, die mir eine Resonanz geben wollen, ich mag den Austausch mit Zuschauern sehr gerne. Da stehen dann schon mal Leute mit rot verweinten Augen und sagen „Das war so ein toller Abend!“ oder „Ich danke Ihnen!“. Es ist auf jeden Fall wunder-, wunderschön, anschließend so positives Feedback zu bekommen.

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